Buchbesprechung: Der Pferdeflüsterer

Da habe ich doch neulich diesen Roman geschenkt bekommen. Einen Bestseller, den auch Nichtpferdeleute kaufen (sonst wäre es kein Bestseller, denn es gibt gar nicht soviele Pferdeleute, um einen Roman zu einem weltweiten Bestseller machen zu können). So ein Roman ist eine willkommene Abwechslung zur sonstigen Nachtlektüre in Form von trockenen wissenschaftlichen Veröffentlichungen.

Ach diese wunderbare Romanwelt: der Held, erfolgreich und souverän, hat alles, einschließlich der schwierigsten Pferde im Griff und ist darüber hinaus auch noch gesegnet mit männlich herbem Charme. Man sieht förmlich das markante „Irisch-Moos-Face“ mit dem sympathischen Erfolgslächeln. Mit breiten Schultern über schmalen Hüften, die dem schwachen Geschlecht Anlehnung und Schutz versprechen (die Schultern, nicht die Hüften).

Es kommt wie es bei einer derartigen Konstellation kommen muss: die Damenwelt reagiert darauf mit erhöhtem Pulsschlag. Dem Helden steht deshalb ebenbürtig eine Repräsentantin des weiblichen Geschlechtes gegenüber, die nicht nur ihr Business vorbildlich managt, sondern zu allem Überfluss auch noch pädagogisch einfühlsam mit ihrer pubertierenden Tochter umzugehen versteht. Und das Outfit, die Figur, schlicht beneidenswert.

Nur beim Kochen schein sie kleine Webfehler aufzuweisen. Der Roman, dem Geist unserer Zeit angepasst (wonach Kochen, Stricken und Nähen unser weibliches Ego gewiss nicht ausreichend befriedigen können), betont gleichzeitig, dass die erfolgreiche Geschäftsfrau auch in der ländlichen Idylle, wohin sie unserem Helden folgt, mehrere Telefon- und Datenleitungen benötigt, um mit ihrem großstädtischen Arbeitsplatz und ihrem im Roman unscheinbar auftretenden, aber durchaus liebenswürdigen Ehemann verbunden sein zu können.

Der Grund, weshalb die Heldin unseren Helden auf das flache Land verfolgt hat, ist übrigens nicht ihr Ehemann, sondern das Pferd der Tochter, das durch einen Unfall sowohl körperlich, wie auch seelisch stark in Mitleidenschaft gezogen ist und sich aber bis zum Happyend durch die Behandlung des Helden wieder regeneriert.

Die Verfasserin des Artikels jedenfalls hat den Roman sehr genossen und will Ihnen auch erzählen weshalb: kein Pferd hat in diesem langen Roman jemals einen Koppelzaun demoliert, was in unserer ländlichen Idylle hier zum Alltagserleben gehört.

Nie rannte die beneidenswerte Heldin hinter den durch Nachbarwiesen buckelnden, oder hinter sich Fontänen von Erdklumpen aufspritzenden, ausgelassen auf fremden Feldern galoppierenden, fröhlichen Pferden her, und insofern erleben wir sie auch nicht mit derangierter Frisur, hochrotem Kopf, schweißtriefend und nach Luft japsend. Sie muss keine Nachbarn anrufen und mit zerknirschter Stimme Entschuldigungen stammeln, keine verlorenen Hufeisen auf fremden Feldern einsammeln (man stelle sich vor, die geraten in ein Mähwerk) muss nicht nebenbei noch aufpassen, ob die Kinder die Hausaufgaben machen und das Feuer im Kachelofen nicht ausgeht.

Keiner der Romanhunde hat jemals Hühner oder Enten gejagt und ist danach mit erdverkrusteten Pfoten und schlammbespritztem Bauch über die Böden des Hauses geeilt, um in`s Bett der Helden zu springen. Deshalb muss die Heldin im Roman weder Koppelzäune nageln, noch Böden schrubben oder Betten frisch beziehen. Stattdessen reitet sie sanft auf dem Pferderücken schaukelnd mit dem Helden bei ewig schönem Wetter in die unberührte Natur und tauscht mit ihm erotisch knisternde Blicke.

Wer im Alltag beim Entschuldigungsgespräch mit dem Nachbarn die mühsam unterdrückte Mordlust in dessen Augen flackern sieht, der genießt es aufrichtig, abends im Bett bei der Beschreibung der zwischen den Helden getauschten sinnlichen Blicke wohlig zu erschauern und teilhaben zu können an einer heilen Welt, in der der Held weder schnarcht noch Bauchansatz aufweist.

Doch morgens, wenn der Wecker klingelt und man im Badezimmerspiegel sein zerknautschtes, von wirrem Haar umrahmtes Gesicht sieht, da fühlt man sich mit seiner eigenen Unvollkommenheit in der eigenen unvollkommenen Welt wieder richtig zuhause. Denn im Roman hat kein Pferdechor zur Morgenbegrüßung gewiehert, kein Hund auf die Frühstückssemmel gewartet, keine Katze auf dem Schoß geschnurrt, keine Kinder Milch verschüttet und kein Mann war dazu bereit, das alles sowohl mitzuerleben als auch mitzutragen und mitzugenießen.
Dr.D.M.