Und wieder einmal ist es soweit!
Verprügelt, verschnürt, verheizt“ lautet die Überschrift des Stern und meint damit die Traberszene
Ein neuer Skandal im Pferdesport, „verprügelt, verschnürt, verheizt“ lautet die Überschrift eines namhaften Wochenmagazins, und mit farbigen Großfotos soll bewiesen werden, dass „auf deutschen Trabrennbahnen Tierschinder freie Hand haben“. Diesmal geht es mich nicht nur als Pferdeliebhaber an, sondern persönlich, denn diesmal ist es mein Sport, über den geschrieben wird. Wie persönlich, kann ich unschwer an den Reaktionen meiner Umwelt erkennen: eine Videoaufzeichnung der Sendung Stern-TV kommt gleich am nächsten Tag ins Haus, Anrufer wundern sich, wieso ausgerechnet ich..., andere fragen, ob die Behauptungen sachlich richtig wären, bzw. wie ich persönlich trainierte... und ich selbst bin nachdenklich und einmal mehr empfinde ich diese Gefühlsmischung aus Scham, Wut, Ohnmacht, „Es mussetwasgeschehen-Tatendrang“ und Hoffnungslosigkeit.
Seit Jahren stehe ich jeden Morgen sehr früh auf (obwohl ich ein Morgenmuffel bin) und freue mich auf das morgendliche Training, genieße in vollen Zügen die Arbeit mit den Pferden, bin glücklich über Fortschritte und lerne und wachse an eventuell auftretenden Problemen. In dieses friedlich idyllische und freudvolle Dasein platzt dieser Artikel natürlich wie eine Bombe. Denn ab sofort ist man jemand, der zumindest in dem dringenden Verdacht steht, als Tierschinder Pferde zu verprügeln, zu verschnüren und zu verheizen. Es ist zudem nicht ganz leicht, den Versuch der Korrektur sachlich falscher Darstellungen zu unternehmen, will man nicht in den zusätzlichen Verdacht zu geraten, neben rücksichtsloser Ausbeuter der wehrlosen Kreatur auch noch unaufrichtig und uneinsichtig zu sein, bzw. ohne den geringsten Anflug von Unrechtsbewusstsein kriminelle Machenschaften verharmlosen zu wollen.
Da die meisten von Ihnen meine Einstellung zu den Pferden (nicht nur zu meinen eigenen, sondern zu jedem Pferd) kennen, wage ich hier einen Versuch der Klarstellung, nicht zuletzt weil jede andere pferdesportliche Disziplin von derartigen Artikeln in genau derselben Weise, im Bewusstsein der Öffentlichkeit urplötzlich ins moralische Abseits gedrängt werden kann. Anlässe gibt es genug, denn in jeder Disziplin finden sich bei genauerem Hinsehen immer wieder Einzelne, die ohne Rücksicht auf die ihnen anvertrauten Tiere, ohne jeden Skrupel und teilweise im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen gehend, die gesamte Sportart nicht nur in Misskredit bringen, sondern mit ihrem Handeln zurecht tiefste Empörung in der Öffentlichkeit auslösen. Auch im vorliegenden Fall dieses Artikels über den Trabrennsport wird zu Recht angeprangert, dass mitunter Gebisse zum Einsatz kommen, die Schmerzen verursachen, dass Zungen durch falsche Behandlung verletzt werden, dass talentierte junge Pferde keineswegs immer schonend aufgebaut und mit Bedacht eingesetzt werden, sondern für den schnellen Erfolg bewusst deren Gesundheit riskiert wird. Jeder wird mir beipflichten, dass dies nun in der Tat ein in jeder Sportart auftretendes Phänomen ist. Erinnern wir uns doch nur an den Jubel, den ein Auktionspferd bei einer der diesjährigen Frühjahrsauktionen auslöste, als dieses „frühvollendete Talent“ wie ein S-Dressurpferd im Auktionsviereck sein Potential vorführte und vom Auktionator voller Stolz hervorgehoben wurde, dass er justament an diesem Auktionstag erst seinen dritten Geburtstag hatte. Wann hat seine Kinderzeit auf der Koppel wohl geendet, ist die Frage, die sich Pferdemann / frau hier stellt.
Oder nehmen wir zum Thema Equipment eine Presseveröffentlichung mehrerer Tageszeitungen im Mai dieses Jahres, wonach anlässlich des Worldcup in Göteborg auf der dort gleichzeitig stattfindenden Messe Pferdegamaschen mit innen eingearbeiteten Spikes (wohl das Angebot für den erfolgsorientierten Springreiter) zum Verkauf angeboten wurden, was die Tierschützer zu Recht auf die Barrikaden getrieben hat. Übrigens waren diese Gamaschen interessanterweise keine Einzelanfertigung eines pferdehassenden Handwerksbetriebes, sondern industriell hergestellte Massenware, was tiefe Rückschlüsse auf die Nachfrage aufdrängt. Doch zurück zum Sternartikel über den Trabrennsport. Neben den berechtigten Vorwürfen, die ich oben schon angesprochen habe, war der Artikel teilweise nachlässig und schlampig recherchiert und entbehrt in großem Umfang bedauerlicherweise jedweder fundierter Sachkenntnis. Diese Ansicht wird offensichtlich von anderen Redaktionen in vollem Umfang geteilt, denn keine schloss sich dieser unqualifizierten Berichterstattung auch nur mit einer Zeile an. Da hilft wohl auch nicht das Sichbedienen eines ehemaligen Rennbahntierarztes, sozusagen als Sachverständigen, was er auch in der Tat ist, denn er hat über mehrere Jahrzehnte Traber behandelt. Soll ihm jetzt im Ruhestand, wo er die finanziellen Segnungen seiner beruflichen Tätigkeit unter „Prüglern, Verschnürern und Verheizern“ so recht genießen kann, urplötzlich das Gewissen schlagen, will er gar sein, von den Tierschindern zusammengetragenes Vermögen, konsequenterweise ebenso wie sein vom Stern erhaltenes Honorar dem Tierschutz spenden, oder ist er vielleicht absichtlich missverstanden worden und ebenso wie die Pferde, nur zur Sensations-mache benutzt worden?
Vermutlich, denn an einigen Darstellungen kann er unmöglich mitgewirkt haben. So steht unter der Abbildung eines Pferdes mit Sandmaske und Bodenblender: „im Blindflug über die englische Meile“. Ist es schon nicht ratsam, mit blinden Pferden einen harmlosen Schrittspaziergang durch die Botanik zu unternehmen, bei einem Rennen mitten im Pulk von in Hochgeschwindigkeit rennenden Pferden käme wohl endgültig niemand auf eine derartige Idee. Es ist Blödsinn zu behaupten, diese Pferde wären blind. Tatsache ist, dass etliche Pferde es absolut nicht schätzen, wenn ihnen der von den Hufen des Vorderpferdes hochgewirbelte Sand ins Gesicht und somit in die Augen fliegt. Dies ist insbesondere bei regennasser Bahn, wo ganze Brocken fliegen, der Fall. Um die Augen zu schützen, bekommen die Pferde eine Art Gittermaske angezogen, die diese Sandbrocken abhält. Der Bodenblender ist eine harmlose Fellrolle, die über den Nasenriemen gezogen verhindert, dass ein Pferd sich vor eventuell auf dem Geläuf befindlichen Gegenständen (mit dem Wind herumgewirbelte Wettscheine z.B.) oder Schatten erschreckt, deshalb ausbricht und die im Pulk mitfahrenden anderen Pferde und Fahrer gefährdet. Eine simple Sicherheitsmaßnahme, die dem Tier absolut keine Qualen verursacht, ganz im Gegenteil möglicherweise Qualen Dritter durch Verletzung vermeidet. Ebenso dient der Overcheck keineswegs dazu, die Pferde am Galoppieren zu hindern (dass er hierzu offensichtlich auch nicht geeignet ist, wird durch die Tatsache unterstrichen, dass in fast jedem Rennen eines oder mehrerer Pferde wegen Galoppierens disqualifiziert werden), sondern dient den Pferden im Falle der Ermüdung als Stütze und ist insofern in erster Linie ein Sicherheitsfaktor, der eventuelle Stürze und damit folgenschwere Unfälle im Rennen vermeiden hilft. Mit Sicherheit kommt es auch vor, dass manche Fahrer ihre Pferde so eng aufchecken, dass die Wirbelsäule blockiert wird. Ebenso wie es durchaus vorkommt, dass Reitpferde so eng ausgebunden werden, dass sie ihre Körperbalance verlieren, oder mit Schlaufzügelgewalt zusammengezogen über Rückenprobleme hinweggearbeitet werden. Dies alles rächt sich zwar längerfristig für jeden, der so handelt, aber zuvor haben die Pferde darunter zu leiden. Es gibt so viele Facetten der Tierquälerei, angefangen von dem Leiden, das aus mangelnder Sachkenntnis des Menschen entsteht, dem Leiden aus menschlicher Unbeherrschtheit und Ungeduld, das Leiden des Tieres bei der rücksichtslosen Jagd des Menschen nach Erfolg (lieber tot als Zweiter), das Leiden das aus Gewinnsucht in Kauf genommen wird und und und... Rennsport hat eine Menge mit Geld zu tun, denn man kann dort nicht nur Geld gewinnen, sondern zunächst muss man sehr viel Geld investieren. Jeder Trainingsmonat verschlingt einen vierstelligen Betrag, hinzu kommen die üblichen Nebenkosten wie Schmied, Tierarzt sowie für Nennungen und Starts. Ein kostspieliges Hobby, das man sich leisten können muss, zumal die vielversprechenden vierbeinigen Nachwuchsstars schon in der Anschaffung erhebliche Löcher in das Ersparte reißen. Wer dieses Geld nicht wirklich leicht aufbringen kann, bzw. wie wir hier jeden Tag selbst trainieren kann, der ist gut beraten in diesem Sport erst gar nicht anzufangen. Ansonsten wird er notgedrungen irgendwann seinem Trainer in den Ohren liegen müssen, wann denn endlich das Pferd starten kann und sich damit die Chance ergibt, dass eventuell Bares winken könnte.
Rennpferde werden meistens von Trainern gearbeitet, d.h. die Besitzer sind im Gegensatz zu uns, die wir vom Füttern frühmorgens über das Training, die sonstige Haltung und Pflege bis spät nachts mehrmals am Tag engen Kontakt zu unseren speedigen Hausgenossen haben, sehr weit weg von ihren Pferden, erleben sie während der Trainingszeit in erster Linie als Kostenfaktor und wünschen natürlich möglichst schnelle Trainingsfortschritte und baldige Startmöglichkeit.
Dasselbe Phänomen erleben offensichtlich auch Dressurausbilder, von denen die Besitzer frisch angerittener Remonten sowohl die Zusicherung erwarten, dass dieses Pferd einmal Grand-Prix gehen werde und zudem nicht mit der Frage hinter dem Berg halten, wann es denn endlich auf einem Turnier glänzen würde. Pferde brauchen Zeit, Liebe, Geduld und Sachverstand. Nur so können sie das nötige Vertrauen in ihre Umwelt und zu sich selbst entwickeln, um ihr Leistungspotential voll entwickeln zu können. Zeit ist hier gleich Geld, Liebe muss man geben können und Geduld wird nur der entwickeln können, der Freude an noch so kleinen Fortschritten und Vertrauen in seine eigene Kompetenz hat. Sachverstand ist nichts statisches, das man einfach hat, jedes Pferd stellt uns vor neue Aufgaben und wenn wir Glück haben, dann haben wir Menschen um uns, die uns helfen und von denen wir lernen können. Ich hatte diese Menschen immer an meiner Seite, vom ersten Obensitzen als Kind bis zum heutigen Tag hatte ich stets wirklich gute Lehrer und aufrichtige, echte Pferdeleute an meiner Seite, viele unter ihnen wurden mir zum Vorbild. Einer hat übrigens zu diesem Sternartikel direkten Bezug. Er brachte mir vor Jahren liebevoll die ersten Grundlagen bei den Trabern bei, hatte übrigens als Trainer mehrfach das Derby gewonnen, war trotz seiner Erfolge bescheiden, voller Humor und arbeitete die ihm anvertrauten Tiere mit Geduld, Liebe und Verständnis, ein wirklicher Herr, ausgeglichen und immer beherrscht, jemand von dem man sich beim besten Willen nicht vorstellen kann, dass er sich zu einer Prügelei hinreißen lassen könnte. Der im Stern erwähnte Vorfall (ein Fahrer hatte 1991 seinem Pferd im Zieleinlauf mehrmals zwischen die Beine getreten und machte zudem rücksichtslos von seiner Peitsche Gebrauch), brachte diesen Menschen allerdings spontan in Rage: dieser aufrichtige Pferdemann, mittlerweile im wohlverdienten Ruhestand befindlich, tat das, was die einzig mögliche Konsequenz aus diesem Vorfall war, er stellte den Übeltäter in aller Öffentlichkeit noch unmittelbar auf der Bahn zur Rede und machte sehr scharf und deutlich klar, dass der Betreffende eine Schande für den gesamten Trabrennsport sei. Die Uneinsichtigkeit und Unverschämtheit des so angesprochenen Fahrers ließen ihn dann letztendlich dazu hinreißen, diesen seine Fäuste spüren zu lassen. Das endete für ihn mit einer Anzeige und Verurteilung wegen Körperverletzung. Der Fahrer erhielt zwar eine Anzeige wegen Tierquälerei, das eingeleitete Verfahren endete in diesem Fall allerdings, wie im Stern richtig wiedergegeben, mit Freispruch. Man mag zu diesem Gerichtsurteil stehen wie man will (auch für mich war es enttäuschend, dass dem Gericht offensichtlich kein Gesetz zur Verfügung stand, das auf diesen unglaublichen und haarsträubenden Vorfall hätte angewandt werden können) aber offensichtlich reichte das Tierschutzgesetz für eine Verurteilung nicht aus, ein Umstand, den wir zur Kenntnis nehmen müssen und den wir nicht dem Sport anlasten können. Verschwiegen wird vom Stern dagegen, vermutlich um die Stimmung anzuheizen und den Sport insgesamt besser in Mißkredit bringen zu können, dass der Fahrer zwar von einem ordentlichen deutschen Gericht freigesprochen wurde, allerdings dagegen vom Veranstalter im Rahmen dessen Strafmöglichkeiten sowohl mit einer Geldstrafe wie auch mit einem Fahrverbot belegt wurde. Dem Stern war dies keine Zeile wert, schade, denn hier würde ein möglicher Weg aus der Misere gezeigt: wenn jeder sofort und kompromisslos denjenigen ächtet, der bei einer unsportlichen Handlung beobachtet wird, dann ist dies der richtige Schritt in die richtige Richtung.
Es müssen nicht unbedingt Fäuste sein, aber wir müssen anfangen, uns nicht mehr diskret umzudrehen, wenn ein Springpferd auf dem Abreiteplatz bewusst in ein Hindernis gesetzt wird, oder ein kandarengezäumtes Dressurpferd nach der Prüfung für eine schlechte Vorstellung mit Insterburgern bestraft wird. Übrigens gar nicht so leicht, den Mund aufzumachen, ich habe dies selbst schon ausprobiert und kosten können, wie einsam man allein unter vielen Schweigern steht und erhebliche Courage aufbringen muss, um hier klare Worte zu sprechen und für die Tiere einzutreten.
Merkwürdigerweise ist auch die offizielle Aufsicht nicht zur Stelle, bzw. hat nichts gesehen. Die in Hochglanz gebundenen Absichtserklärungen unserer Verbände zum Tierschutz genügen nicht, die Pferde brauchen Anwälte vor Ort, die klar und unmissverständlich ihre Interessen aufrecht und mutig vertreten. Noch sind es hoffentlich Ausnahmen, die sich bewusst tierquälerischer Methoden bedienen, aber wenn diese Menschen damit durchkommen und gar noch kurzfristigen Erfolg erzielen, könnte sich dies ansteckend auswirken. Längerfristig führt ohnehin nur korrekte und überlegte Arbeit zu anhaltendem Erfolg, in jeder pferdesportlichen Disziplin. Wer nur den Erfolg will, aber die vorgeschaltete Arbeit scheut, der wird neben der Versuchung, zu unsportlichen Mitteln zu greifen, auch nie tiefe Freude erleben können.
Ich habe mich unendlich gefreut, als unsere Stute bei ihrem ersten Rennen souverän und leicht in überragender Manier und Zeit gewonnen hat. Aber wenn ich darüber nachdenke, der Sieg ist Vergangenheit, für die Zukunft habe ich zwar Hoffnung auf eine Wiederholung, aber das allein reicht nicht aus, um mich Murmeltier morgens aus dem Bett zu bringen. Das schafft nur diese wirklich tiefe Freude an der täglichen Arbeit mit einem großartigen und fröhlichen Pferd, in der Gemeinschaft mit einem Menschen, der dieselbe Freude hat, von dem ich viel gelernt habe und mit dem ich in absolut vertrauensvoller Zusammenarbeit mit Sicherheit noch viel lernen werde. Dr.D.M.