Was aus der erfolgreichen Umsetzung von wohlüberlegten Vorsätzen für das neue Jahr entstehen kann...
Jeder kennt wohl die alljährliche Silvester-Frage: „Na, was habt ihr denn für Vorsätze für das neue Jahr...?“ Und sofort werden mehr oder weniger halbherzig einige genannt, bei denen man schon weiß, dass man sie eh nicht umsetzen wird – und dann gibt es natürlich die besonderen Vorsätze, die man sich wirklich ganz fest vornimmt!
In meinem persönlichen Fall war es der feste Vorsatz, meinen Pferdebestand zu reduzieren und Carl ein neues Zuhause zu suchen. Und auch Frau Dr. Meyer hatte sich das ebenfalls – wohl schon zum wiederholten Male – fest vorgenommen. Wer Pferde züchtet, sollte auch mal eins verkaufen, so ihre klare Aussage.
Während ich mit der Überlegung meinen Carl zu verkaufen wirklich haderte, weil ich das bereits vor drei Jahren mit einem äußerst unerfreulichen Ergebnis getan hatte. Verkauft wurde er damals als solide ausgebildetes, sehr angenehm zu reitendes, schönes Dressurpferd – und nach nur 6 Wochen habe ich ihn als unreitbares und völlig eingefallenes Pferd wieder zurückgenommen. Dieses Erlebnis sollte sich nicht wiederholen und so schob ich die Entscheidung vor mir her und wartete darauf, dass irgendwann einfach genau der richtige Kunde, der ein charakterlich nobles und rittiges, weit ausgebildetes Dressurpferd auch zu schätzen wüsste, schicksalgesteuert von alleine auf den Hof kommen würde....
Bei Frau Dr. Meyer kam es allerdings gar nicht erst zu einem Verkauf, bei ihr reichte die bloße Ankündigung eines ernsthaften Kaufinteressenten bereits aus, das „Verkaufs“-Pferd erst mal aus der Ausbildung zu sich nach Hause auf den Hof zu holen.. – um sich das alles nochmal in Ruhe zu überlegen. Aus dieser ruhigen Überlegung wurde dann die wohlüberlegte Erkenntnis, dieses Pferd nun „erst mal“ gar nicht verkaufen zu wollen...Kurz darauf fragte sie mich, ob ich diese junge Stute nicht mal einige Zeit zu mir nehmen wollte, um sie etwas zu reiten. Gesagt getan, die Stute zog bei mir ein und ich wusste relativ schnell, warum die Kaufinteressenten das Pferd so gerne gekauft hätten. Aber zum einen stand das Pferd ja gar nicht zum Verkauf und zum anderen hätte ich mit dann drei Pferden definitiv zu viele Pferde gehabt. Den Käufer für Carl hatte das Schicksal noch nicht auf den Hof geführt und nun ein zusätzliches Pferd? No way, ich bin Carl verpflichtet.
Als Frau Dr. Meyer mich dann eines Tages fragte, wie ihre Stute mir gefiele, sagte ich es ihr – und Frau Dr. Meyer wäre nicht Frau Dr. Meyer, wenn sie nicht auch für dieses „Problem“ sofort eine Lösung parat hätte. „Dann geben Sie mir doch Ihren Carl und nehmen die junge Stute zur Ausbildung...“ hörte sie sich vermutlich sagen – und wir fanden die Idee prima. Das war wirklich eine fantastische Idee für die Pferde und für uns, auch wenn sie mit der beabsichtigten Reduktion des Pferdebestandes natürlich gar nichts zu tun hatte!
Also zog Carl auf den Hohenpeißenberg, was für einen Holländer wirklich beeindruckend sein muss und sollte sich zunächst mit einer in Bezug auf Gesellschaft überaus anspruchsvollen, älteren Dame anfreunden. Diese besagte „ältere Dame“ ist eine betagte Staatsprämienstute aus Trakehnen, für die Frau Dr. Meyer schon seit langem eine geeignete Betreuung suchte. Die alte Dame, körperlich angeschlagen und etwas gebrechlich, ist – man kennt das von alten Damen ja – in Bezug auf ihr vierbeiniges „Betreuungspersonal“ überaus diffizil und wählerisch und neigt dazu, bei ungeschicktem Betragen sehr ungehalten zu werden. Mit der Herde auf die Koppel zu gehen wurde etwas problematisch. Unter dem Aspekt, dass es sich bei Carl um einen Vertreter der Rasse des „königlichen Warmbluts der Niederlande“ handelte und er wirklich über ein äußerst edles Gemüt verfügt, hatte Frau Dr. Meyer Hoffnung, dass der noble Carl der anspruchsvollen Corry gefallen könnte. Und sie hatte recht, Corry beschloss vom ersten Tag an, dass es Frau Dr. Meyer nun endlich (!!!) gelungen sei, für sie einen erfahrenen, gebildeten und distinguierten Betreuer gefunden zu haben! Nach einer sehr kurzen Probe- und Eingewöhnungszeit stieg Carl zum „Leiter der geriatrischen Abteilung“ auf. Carl, sportlich bereits erfolgsverwöhnt, begeisterte Corry sehr schnell für eine von ihm, dem neuen Lebensumfeld entsprechend flugs neu erfundenen Sportart und seitdem üben die beiden täglich „Synchron-Schreiten“, vermutlich in der Hoffnung, dass diese Sportart in absehbarer Zeit olympisch wird....! Der Umgang der beiden miteinander ist für jeden Pferdemenschen tief anrührend – Pferdeliebe ist unendlich tief.
Einige Zeit später lernten wir bei einem Kundenbesuch in einem Ausbildungsstall auf amüsante Weise, dass nicht nur wir (allerspätestens im Verkaufsfall) ein bisschen in „Wendy-Romantik“ gefangen sind. Scheinbar können sich auch absolute Top-Reiter nicht komplett vor solchen Gefühlsausbrüchen schützen...und so hörten wir beim Besprechen der einzelnen Pferde die Idee, dass „sie einen wirklich guten Platz, vielleicht sogar Offenstallplatz“ für eins ihrer Nachwuchspferde suchen wollten, der zwar gesund, hochveranlagt, gut auszubilden und siegreich sei, im Innersten allerdings „vielleicht doch mehr Kuschelkontakt bedürfe...“ Eigentlich waren wir unter anderem auch vor Ort, um über den Verkauf eines dort in Ausbildung stehenden Pferdes von Frau Dr. Meyer zu sprechen, aber dann kam es bei diesem Gespräch unerwartet etwas anders: Frau Dr. Meyer hatte zwar schlussendlich tatsächlich ein Pferd weniger, doch – es wird Sie nicht sehr überraschen – gleichzeitig wieder ein anderes mehr, nur tröstlich: den Top-Reitern erging es bei diesem Deal nicht anders. Und Carl hatte ab sofort einen „Zivi“ auf seiner Geriatrie auf dem Hohenpeißenberg.
Foster entpuppte sich als überaus begabter Zivi, äußerst freundlich, rundum positiv und interessiert. Doch wie alte Damen so sind: Corry wollte zunächst noch nicht allzu viel Kontakt mit ihm. So nahm der noble Carl ihn unter seine Fittiche – schattete ihn im wahrsten Sinne des Wortes von Corry ab, klärte ihn über die besonderen Gewohnheiten der älteren Dame auf und brachte ihm bei, sich auch von leicht bissigen, spitz formulierten Fragen a la „Weißt du denn schon was aus dir mal werden soll...?“ nicht aus der Fassung bringen zu lassen. Foster, ein ganz netter, aufgeschlossener junger Mann, weckte in Bälde Corry´s Interesse an ihm. Als Carl sich auf der Weide synchronschreitend ergehend für ein Fotoshooting eine Tasche um den Hals gehängt bekommen sollte, war Carl sich sicher „nicht hier und nicht mit mir, dafür bin ich nicht zuständig!“. Corry pflichtete ihm bei und hängte noch „diese lächerliche Albernheit ist ganz sicher keine Chefanweisung“ hinterher. In dieser etwas angespannten Situation brachte sich Zivi Foster deeskalierend sofort ein und fragte höflich „ob er uns vielleicht weiterhelfen könne?“. Carl und Corry fanden Foster´s eilfertiges Bemühen, uns zu gefallen, alles andere als gut und beäugten die Aktion äußerst kritisch, wichen ihm aber auch nicht von der Seite und Corry brummelte ununterbrochen „du musst das nicht machen, die haben hier nichts anzuschaffen, die Chefin ist weit und breit nicht zu sehen, lass es einfach“ und schien sich das erste Mal wirklich „Sorgen“ um ihren mutigen Zivi zu machen. Mittlerweile ist Foster schon eine würdige Vertretung von Carl geworden und zwischen den Wallachen hat sich eine richtig innige Freundschaft entwickelt – man könnte sagen, alle sind mehr als glücklich!
Foster überlegt noch, was er nach seinem Zivildienst machen möchten – ihm stehen alle Wege offen, immerhin hat er sein Abitur äußerst erfolgreich abgelegt, er könnte studieren und eine richtige Karriere machen aber zunächst genießt er es, von Carl zum hauptberuflichen Pfleger ausgebildet zu werden und mitunter traute Männergespräche zu führen.
Unser vorgenommenes Ziel haben wir alle (wir genauso wenig wie die Top-Reiter) unbestritten nicht erreicht – wir haben keine Pferde verkauft und den Pferdebestand auch nicht reduziert, aber irgendwie haben wir unser wirkliches Ziel doch erreicht, denn wir haben gemeinsam für alle Pferde ein optimales Zuhause gefunden und wir alle erfreuen uns jeden Tag riesig an unseren Neuzugängen. Insofern haben wir unser eigentliches innerlich gefühltes Ziel doch erreicht, es vielleicht nur am Jahresanfang etwas ungeschickt formuliert...!
Dr. Dorothe Meyer & Dipl.-Ing. agr. Julia Spilker